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Sicher Bremsen mit ABS

Von: Caspar Gebel

Autos haben es, Motorräder inzwischen auch – nur beim Fahrrad musste man lange auf ein Antiblockiersystem warten. Elektroantrieb und Scheibenbremsen haben den Weg geebnet; nun hat Elektronikspezialist Bosch seine zweite Version des ABS fürs E-Bike vorgestellt. Wir haben ausprobiert, was das System kann.

Ein Antiblockiersystem fürs Fahrrad? Es gab Zeiten, da wäre so etwas völlig unnötig gewesen. Als dann die mechanischen Bremsen kräftiger wurden, machte die Industrie zaghafte Versuche in Richtung „Bremskraftbegrenzer“, die jedoch ihre Tücken hatten; die ersten Scheibenbremsen wurden dann am Mountainbike eingesetzt, wo man auf die Radbeherrschung der Fahrer vertrauen konnte.

Inzwischen aber ist so ziemlich jedes E-Bike mit Discbrakes ausgestattet, und das ist nicht immer unproblematisch. Gerade ungeübte Radler unterschätzen gerne mal ihre Geschwindigkeit auf dem Elektrorad, und dann unterschätzen sie die Schärfe ihrer Bremsanlage. Was dazu führt, dass viele Stürze auf Bedienungsfehler zurückzuführen sind – etwa ruckhaftes Anbremsen bei der Kurvenfahrt, wenn der Untergrund feucht oder locker ist. Wenn in einer solchen Situation das Vorderrad wegrutscht, liegt man schnell auf der Seite, und wenn das meist glimpflich ausgeht, kann so ein Alleinunfall dennoch zu ernsten Verletzungen führen.

Neue Version mit noch besserer Leistung

Als Elektronikspezialist Bosch 1988 das erste Antiblockiersystem für Motorräder auf den Markt brachte, war die Fahrradtechnik noch Lichtjahre vom heutigen Stand entfernt. Das hat sich jedoch geändert – am E-Bike ist eine hydraulische Bremsanlage Standard, und Strom für Pumpenmotor und Elektronik gibt es in Hülle und Fülle. Das 2017 vorgestellte ABS für E-Bikes, konzipiert in Zusammen-arbeit mit dem Bremsenhersteller Magura, lehnte sich stark ans System für Motorräder an und konnte auf Anhieb überzeugen. Nun ist eine neue, verbesserte Version auf dem Markt – höchste Zeit, einen Blick auf Funktionsweise und Charakter des Bosch-ABS zu werfen.

Das System besteht im Wesentlichen aus zwei Komponenten: der Kontrolleinheit, die deutlich kleiner geworden ist und nun an der Innenseite der Federgabel sitzt, und den Drehzahlsensoren, die vorne und hinten in die Bremsscheiben integriert sind. Außerdem gibt es eine Kontrollleuchte am Tastenblock des Antriebs sowie System-Infos auf dem Display, und natürlich die Bremsanlage selbst.

Die Sensoren messen während der Fahrt permanent die Raddrehzahlen. So registrieren sie, wenn sich das Vorderrad gefährlich verlangsamt, und wenn das Hinterrad den Bodenkontakt verliert. In beiden Fällen greift das ABS ein und verringert den Bremsdruck am Vorderrad. Ein Blockieren des Vorderrades ist mit dem ABS praktisch ausgeschlossen, was andersherum bedeutet: E-Biker können in kritischen Situationen voll in die Eisen gehen, ohne sich um die Dosierung ihrer Bremse Gedanken machen zu müssen.

Wie das in der Praxis funktioniert? Beim Anschalten des E-Bikes leuchtet an der Remote-Einheit eine gelbe Kontrollleuchte; ist das System aktiv, erlischt sie beim Losfahren. Bei normalen Bremsvorgängen bemerkt man nichts vom Antiblockiersystem; da ist es beim E-Bike nicht anders wie beim Auto. Daher also Vollbremsung aus 25 km/h: Im Vergleich zur ersten Version des Systems fällt auf, dass das ABS praktisch unmerklich regelt. Das deutliche Pulsieren des Bremshebels wurde abgestellt; das bedeutet, dass man nach dem Eingriff des Systems gleichmäßig weiter verzögern kann. 

Zieht man auf gerader Strecke mit voller Kraft am Hebel, bremst man schnell und gleichmäßig auf null herunter, wobei ein interessantes Feature auf dem Display auffällt, nämlich die „Bremsstatistik“: Ist das entsprechende Fenster aktiv, werden nach jeder Verzögerung Bremsweg und Bremsdauer angezeigt, ob das ABS nun regelt oder nicht. Wer will, kann mithilfe dieser Angaben seine Bremstechnik optimieren, wozu natürlich auch der dosierte Einsatz des hinteren Stoppers gehört. Dieser ist nämlich nicht ans ABS angeschlossen; das Hinterrad zum Blockieren zu bringen ist nach wie vor möglich.

Die große Stunde des Systems schlägt dann auf lockerem Untergrund, wo die Haftreibung schnell mal in Gleitreibung übergehen kann. Auf feinem Schotter oder feuchtem Laub löst starkes Bremsen den Eingriff des ABS aus; konkret heißt das, dass man in Situationen gleichmäßig verzögern kann, in denen ohne ABS Kontrollverlust drohen würde. Hier zeigt sich, dass die „Stotterbremse“ ein echtes Sicherheitsplus ist – auch wenn man das Stottern gar nicht mehr spürt.

Die Kon­trolleinheit sitzt nun innen an der Gabel und ist deutlich kleiner geworden.

An den Bremsscheiben der Magura-Anlage fallen die kleineren Sensor­scheiben auf.

Die kleine gelbe Leuchte erlischt beim Losfahren – das zeigt an, dass das System aktiv ist.

Am PEGASUS-Testrad läuft das ABS im Touring- Modus.

Grenzen der Technik bei Eis und Schnee

Zaubern kann das E-Bike-ABS allerdings auch nicht – die Grenzen der Fahrdynamik gelten auch für die Regelelektronik. Beispiel Eis und Schnee: Wenn sich der Reifen nicht mit dem Untergrund verzahnen kann, kann auch beim ABS-Bike ein Zug am Hebel dazu führen, dass das Vorderrad rutscht. In Situationen, wo Fahrradfahren ohnehin nicht ratsam ist, sollte man sich und seinen Bremsassistenten also nicht überschätzen.

Abgesehen von solchen Extremfällen ist das ABS jedoch definitiv ein Sicherheitsgewinn – Anbieter Bosch schätzt sogar, dass knapp 30 Prozent aller E-Bike–Unfälle durch das System vermieden werden könnten. Und im Grunde kann jeder Elektroradler von einem Antiblockiersystem profitieren, was auch der Grund dafür ist, dass Bosch inzwischen mehrere „ABS-Modi“ für unterschiedliche Fahrradgattungen anbietet. Sehr interessant ist etwa das „ABS Cargo“ für Lastenräder: Bei den langen Fahrzeugen lastet oft wenig Gewicht auf dem kleinen Vorderrad, sodass dieses auch in Standardsituationen beim Bremsen blockieren kann.

Noch ist das Antiblockiersystem fürs E-Bike mit einem Aufpreis von mehreren Hundert Euro verbunden; entsprechend statten die Radhersteller nur ausgewählte Modelle damit aus. Über kurz oder lang könnte das ABS in bestimmten Preisklassen zum Standard werden, zur Pflicht wie bei Motorrädern aber eher nicht. 

Das System nachzurüsten ist nicht möglich, zumal man beispielsweise eine spezielle Federgabel mit Aufnahme für die Kontrolleinheit benötigt. Wer aktuell nach einem neuen E-Bike Ausschau hält, sollte im Fachhandel durchaus einmal ein ABS-Bike probefahren – es ist eine interessante und lohnenswerte Erfahrung und sicher eine gute Wahl, und zwar unabhängig vom eigenen Sicherheitsempfinden.


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Autor: Caspar Gebel

Caspar Gebel, Jahrgang 1968, sitzt seit 35 Jahren auf dem Rennrad. Der Fachjournalist und Sachbuchautor arbeitet für Velomotion und WE+Bike.

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