Stellen Sie sich vor, Sie steigen morgens in Ihr Auto und alle Verkehrsschilder sind weg, die Straßenmarkierungen fehlen und die Straßen sind oft nicht breiter als ein geteerter Feldweg. Zudem herrscht ein fröhliches Kunterbunt: Viele fahren verträumt in der Mitte der Straße und zum Teil nebeneinander her. Der Gegenverkehr fährt gefühlt frontal auf Sie zu, Abbiegende zeigen ihre geplanten Manöver nur unzureichend an und holen dazu noch weit aus. Gibt’s nicht, alles ein Albtraum? Gibt es doch – und zwar in der Welt der Rad fahrenden Bevölkerung.
Aus der Zeit gefallen
Denn die fahren noch auf Wegen, die vermutlich aus der Fahrradverkehrsplanung der 1990er Jahre stammen. Damals, als das mit dem Radfahren noch echt out war und höchstens was für Studenten. Aber, liebe Verantwortliche in der Invalidenstraße 44 in Berlin, die Zeiten haben sich geändert: Das Fahrrad ist als Verkehrsmittel und im Freizeitsport bereits in allen Bevölkerungsschichten angekommen.
Und deshalb fordere ich, ganz salopp, mehr Regeln für Fahrradfahrer. Ja, Sie haben richtig gelesen. So richtige, ordentliche Radwegverkehrsregeln für Radfahrer – wie die für Autofahrer. Nicht so lästige Regeln wie: „Der Radfahrer darf den Zebrastreifen nur zu Fuß überqueren.“ Das ist wahrscheinlich notwendig, hilft uns in der Sache aber nicht weiter, denn da draußen auf den Radwegen herrscht der reinste wilde Westen! Alle fahren, wie sie wollen. Zwar dürfen sie das auch, aber geht es vielleicht bitte etwas geordneter? Quasi vom Staat verordnet, ermöglicht und überwacht, Stichwort Rechtsfahrgebot. Deshalb, liebes Straßenbauamt, fahrt doch mal eure „Streifenmaschine“ auf dem Radweg spazieren und malt dort auch so schöne Mittellinien wie auf der Bundesstraße, oder kennzeichnet zur Abwechslung einmal Fahrrad-Fußweg-Kreuzungen – nur so zur Orientierung. Der routinierte Autofahrer auf dem Fahrrad wird schon erahnen, was zu tun ist. Und der Knaller wären Geschwindigkeitsschilder – denn die würden auch das Geschimpfe über die „schnellen“ E-Biker oder Rennradfahrer ersparen. Da, wo es nötig ist, gilt dann Tempo 15 km/h – so läuft das doch auch im Autostraßenverkehr, und alle kommen schneller und sicherer an. Dann gäbe es auch kein Problem mit den S-Pedelecs, die müssten sich nämlich ebenfalls an das Tempolimit halten. So wie das Porschefahrer auch tun. Bei denen kämen wir auch nicht auf die Idee, sie vom Straßenverkehr auszuschließen, nur weil sie in der Stadt und auf dem Land viel schneller fahren – könnten. Merkwürdigerweise wird aber mit S-Pedelec-Fahrern so umgegangen, und deshalb werden sie mit ihren mickrigen 45 km/h auf die Bundesstraße geschickt. Hals- und Beinbruch, kann man da nur sagen.
Also brauchen wir neben einem vernünftigen Ausbau der Radwege-Infrastruktur, die alle zur Teilnahme einlädt und niemanden ausschließt, ob flott oder gemütlich unterwegs, einfach ein bisschen Farbe und ein paar Schildchen. Zumindest vorübergehend, bis wir die breiten Radwege haben, die sich auch jeder Autofahrer beim Radfahren wünscht – aber die bekommen wir vielleicht erst dann, wenn es mehr Radler gibt als Autofahrer.
Tim lebt den Radsport. Fast 20 Jahre als MTB-Profi unterwegs, zählte er zur Weltelite im Marathon Bereich, Entwickelte mit BULLS Gravelbikes, forciert für den BDR Indoorcycling und testet E-Bikes. Der ehemalige Deutsche Meister bringt seit Jahren seine Erfahrung aufs Papier, seit 2019 auch als Chefredakteur von WE+Bike.